- Schüler/-innen der Klassen 10.8 und 10.9 zu Besuch im ehemaligen KZ Neuengamme bei Hamburg -
Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ist heute noch an Orten wie Neuengamme wahrnehmbar. Still, weitläufig, beinahe gespe
nstisch liegt das Gelände da. Zu diesem Eindruck tragen die breiten Steinreihen links und rechts des großen Platzes in der Mitte der Anlage bei. Jeder Block soll eine Schlafbaracke symbolisieren, die hier vor rund 70 Jahren stand. Denn hier, im größten Konzentrationslager (KZ) Norddeutschlands, ließen die Nationalsozialisten (Nazis) unter Hitler im Zweiten Weltkrieg über 100.000 Menschen inhaftieren und Zwangsarbeit verrichten. Ziel war es, einerseits die Arbeitskraft der Gefangenen auszubeuten und diese andererseits durch harte Arbeit zu vernichten. Wer meint, dass es sich hier dabei ausschließlich um Juden handelte, der irrt. Viele andere Menschengruppen waren in den Augen der Nazis ebenso „Feinde“ und somit „lebensunwert“. So fanden sich unter den Inhaftierten in Neuengamme politische Gegner (also Menschen anderer Meinung), Sinti/Roma (besser bekannt unter der abfälligen Bezeichnung „Zigeuner“), Ost- und Südeuropäer, Verbrecher, Kriegsdienstverweigerer, Homosexuelle, Priester, Andersgläubige. All diese Menschen wurden mit Zügen aus ganz Europa in eines von Hunderten KZ gebracht.
Der folgende Bericht basiert größtenteils auf Schilderungen ehemaliger Gefangener, die das KZ Neuengamme überlebt und teilweise ihre Erlebnisse in Zeichnungen festgehalten haben.
Kam man als Häftling im KZ an, so musste man sich als erstes komplett entkleiden. Sowohl der Kopf als auch der Schambereich wurden von den Wärtern blank geschoren. Man rechtfertigte dies damit, dass die Häftlinge in der ihnen bevorstehenden Enge der Schlafbaracken keine Parasiten wie etwa Läuse bekommen sollten. Die eigene Kleidung durfte man nicht behalten, sondern bekam einen dünnen, gestreiften Häftlingsanzug. Dieser diente zu jeder Jahreszeit und bei jeder Tätigkeit (Arbeiten, Schlafen, Essen, im Krankheitsfall) als einzige Bekleidung; egal, ob er nass, schmutzig oder beschädigt war. Da es insgesamt jedoch zu wenig dieser Uniformen gab, malte man einigen Häftlingen ein großes Kreuz auf den Rücken. So konnte jeder im Falle eines Fluchtversuches erkennen, dass es sich um einen Gefangenen handelte. Auf den Anzug war ein Zeichen gestickt, um den Häftling nach der genauen Zugehörigkeit zu einer der in den Augen der Nazis als feindlich angesehenen Menschengruppen zu klassifizieren. Außerdem erteilte man jedem Häftling eine Nummer, mit der er ab sofort anstelle seines Namens angesprochen wurde. Die ganze Prozedur hatte also in Wirklichkeit den Zweck, den inhaftierten Menschen zu demütigen und ihn aller Hoffnung zu berauben, indem man ihm fast alles nahm, was ihn als Individuum; also als eigene, einzigartige Persönlichkeit, kennzeichnete: seine Kleider und persönlichen Habseligkeiten. Seine Haare. Seinen Namen.
Die Häftlinge mussten sich mit bis zu zwei weiteren jeweils ein schmales Strohbett teilen und bekamen sehr wenig Nahrung. Dicht drängten sich viele Hundert Gefangene pro Baracke, einer Art Holzstall. Der Morgen begann früh mit einem sogenannten Appell; einer Versammlung aller Lagerhäftlinge, bei der sie stramm zu stehen hatten, bis alle rund 13.000 gezählt waren. Jeden Morgen fehlten einige: Entweder waren sie völlig entkräftet und krank in der Nacht gestorben oder freiwillig in den die Baracken umgebenden Starkstromzaun gelaufen, um mit dem Selbstmord dem qualvollen Leben im Lager ein Ende zu setzen. Alle verbleibenden Häftlinge mussten harte Arbeit unterschiedlicher Art verrichten für große deutsche Unternehmen (von denen einige bis heute noch existieren), die in den KZ produzieren ließen: Waffen oder Ziegelsteine herstellen oder einen nahe gelegenen Fluss verbreitern, um ihn für die Schifffahrt tauglich zu machen. Die letztgenannte Arbeitstätigkeit war die gefürchtetste im ganzen Lager: Durchschnittlich starben anfangs kerngesunde, kräftige, junge Häftlinge dabei nach drei Monaten.
Die Nazis ließen harmlos wirkende Fotos von arbeitenden Häftlingen machen, auf denen weder Schwache noch Aufseher zu sehen waren. Diese Fotos dienten der Propaganda; der manipulativen Darstellung in den Zeitungen, um die Bevölkerung über die Zustände in den KZ zu täuschen. In Wahrheit bildeten die Aufseher einen Wachkreis, die sogenannte Postenkette, um die schuftenden Gefangenen und ließen sich Dinge einfallen, um die Menschen zu schikanieren. Es galt als Fluchtversuch, diesen Kreis zu verlassen. Und auf Flucht stand der Tod. Als Zeitvertreib verkleinerten die Wärter häufig langsam den Wachkreis oder veränderten ihre Position, sodass automatisch derjenige, der nicht aufgepasst hatte, plötzlich außerhalb des Kreises stand – und ohne große Vorwarnung erschossen wurde. Das willkürliche Erschießen von Häftlingen war vom Lagerkommandanten sogar gewollt. So versprach er den Aufsehern zum Beispiel Sonderurlaub, wenn sie besonders viele Tötungen vornahmen. Das führte dazu, dass im Dezember vor den Weihnachtsfeiertagen immer besonders viele Erschießungen stattfanden.
Oder beim Abendappell, bei dem erneut gezählt wurde, stimmte die Zahl der Häftlinge nicht exakt mit der am Morgen überein; In diesem Fall mussten alle Häftlinge so lange stehen bleiben, bis herausgefunden wurde, wo die fehlenden Häftlinge abgeblieben waren. Dazu zählte man auch die Leichen. Hauptsache, die Zahl stimmte. Der längste dieser Appelle dauerte elf Stunden. Die Nacht war da vorüber, doch die Menschen durften nicht etwa schlafen, sondern mussten nach dem endlosen Stehen wieder ihre Arbeit aufnehmen. Arbeit im Lager bedeutete also ein ständiges Leben in Todesangst, Qual und Lebensgefahr.
So bemühten sich die Häftlinge sehr, nicht krank zu werden oder sich zu verletzen. Geschah dies, so waren sie in den Augen der Nazis nicht mehr brauchbar. Auf Medikamente durften die Gefangenen nicht hoffen. Zwar erhielten viele Kranke Spritzen. In diesen befand sich allerdings Benzin, das die Menschen umgehend tötete.
Unter den Häftlingen gab es einen Spruch, der das Bewusstsein der Hoffnungslosigkeit ihrer Situation auf erschreckende Weise deutlich macht: „Der einzige Weg hier raus führt durch den Schornstein.“ Damit meinten sie den Rauch des Krematoriums; der Leichenverbrennungsanlage. Eine letzte Demütigung erfuhren die Verstorbenen nämlich sogar noch nach ihrem Tod: Die Asche ihrer Leichen wurde als Dünger auf den Feldern der Lagergärtnerei verteilt. Heute wächst an dieser Stelle eine Wiese, die demnach eigentlich ein Friedhof ist. Daneben steht eine kleine Gedenkhalle mit Namenslisten, die ein Häftling am Ende des Krieges retten konnte. Blumen, Fotos, Kerzen und Briefe liegen unter den Listen. Nachfahren der Ermordeten haben diese zum Andenken an ihre Verwandten und Freunde hierher gebracht.
Es ist ein trauriger Ort. Einer, der einen nicht kalt lässt. Aber er lässt einen mit der gefühlten Überzeugung gehen, dass nie wieder etwas so Menschenverachtendes, Grausames geschehen darf.
Zusammengestellt anhand von Notizen einzelner Schüler/-innen durch
Melina Vlassakidis
(Klassenleiterin der Klasse 10.9)
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